Das Krankenhaus war mein zweites Zuhause

Mein Leben mit Typ-1-Diabetes begann in den Sommerferien 1964. Ich war elf Jahre alt und kam ins Krankenhaus, weil ich viel Gewicht verloren hatte und so viel trank. Ich fühlte mich sehr schwach und hatte immer Angst umzukippen. Nachdem ich im Krankenhaus eine Woche lang mit Insulin und Haferschleim behandelt worden war, besserte sich die Situation. Allerdings verbrachte ich in den kommenden Jahren fast jede Ferienzeit in der Klinik zur „Neueinstellung“. Mein Diabetesalltag verlief ohne große Dramatik, allerdings hatte ich in der Familie kaum Hilfe. Das Krankenhaus wurde so sehr mein zweites Zuhause, dass ich mich nach der Schule dafür entschied, Krankenschwester zu werden.

Erst nachdem ich meine Ausbildung abgeschlossen hatte, wurde es für Patienten möglich, den Urinzucker zu Hause selbst zu messen. Bis dahin lief auch das über das Labor, ohne das man echte Zusammenhänge erkennen konnte. Erst später wurde mit Einführung der Blutzuckermessung auch die „Selbstbehandlung“ mit eigenständiger Insulinanpassung möglich. Obwohl hierzu nach und nach Schulungen angeboten wurden, war es noch nicht selbstverständlich, dass Patienten im Alltag allein entschieden, wie viel sie essen und welche Menge Insulin sie für die Mahlzeit spritzen. Die nötige Eigenverantwortung erarbeiteten wir uns unter anderem in unserer Selbsthilfegruppe. Da gab es viele Auseinandersetzungen zu den Themen Insulinanpassung, Hypos, Familienplanung und Folgeerkrankungen – hier danke ich besonders den Insulinern!

Ohne den Austausch und die eigenständige Therapie wäre es mir kaum möglich gewesen, eine Familie mit zwei Kindern zu gründen. Meine erste Schwangerschaft war noch sehr schwierig, die mit meinem großen Messgerät namens Reflomat gemessenen Blutzuckerwerte waren eher Schätzwerte. Zum Glück sind meine Kinder gesund, sie sind mittlerweile 35 und 32 Jahre alt. Inzwischen bin ich Diabetesberaterin und trage seit 30 Jahren eine Insulinpumpe. Ich arbeitete viele Jahre in der Nephrologie mit einem Diabetes-Schwerpunkt. Ich hatte und suchte immer Kontakt zu anderen Typ-Einsern – sei es privat, in der Selbsthilfegruppe oder beruflich über Gespräche, Briefe, Mails, Artikel und Telefon. Das brauche ich zur Reflektion und zum Verständnis meines Verhaltens. Da ich noch ganz fit bin und den See, die Berge und mein Essen genießen kann, bin ich auch stolz auf das, was ich erreicht habe.